§ 1
(1) Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar (sterilisiert)
werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß seine Nachkommen an schweren körperlichen
oder geistigen Erbschäden leiden werden. (2)
Erbkrank im sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten
leidet: (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet. Durch Gesetz vom 4. Februar 1936 wurden im § 1 Abs. 1 die Worte "durch einen chirurgischen Eingriff" gestrichen.
§ 2
(1) Antragsberechtigt ist derjenige, der unfruchtbar gemacht werden soll. Ist
dieser geschäftsunfähig oder wegen Geistesschwäche entmündigt
oder hat er das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet, so ist der gesetzliche
Vertreter antragsberechtigt; er bedarf dazu der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts.
In den übrigen Fällen beschränkter Geschäftsfähigkeit
bedarf der Antrag der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Hat ein Volljähriger
einen Pfleger für seine Person erhalten, so ist dessen Zustimmung erforderlich.
(2)
Dem Antrag ist eine Bescheinigung eines für das Deutsche Reich approbierten
Arztes beizufügen, daß der Unfruchtbarzumachende über das Wesen
und die Folgen der Unfruchtbarmachung aufgeklärt worden ist. (3) Der Antrag kann zurückgenommen werden.
§ 3
Die Unfruchtbarmachung können auch beantragen
§
4
§ 5 Zuständig für die Entscheidung ist das Erbgesundheitsgericht, in dessen Bezirk der Unfruchtbarmachende seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.
§ 6 (1) Das Erbgesundheitsgericht ist einem Amtsgericht anzugliedern. Es besteht aus einem Amtsrichter als Vorsitzenden, einem beamteten Arzt und einem weiteren für das Deutsche Reich approbierten Arzt, der mit der Erbgesundheitslehre besonders vertraut ist. Für jedes Mitglied ist ein Vertreter zu bestellen. (2) Als Vorsitzender ist ausgeschlossen, wer über einen Antrag auf vormundschaftliche Genehmigung nach § 2 Abs. 1 entschieden hat. Hat ein beamteter Arzt den Antrag gestellt, so kann er bei der Entscheidung nicht mitwirken.
§ 7 (1)
Das Verfahren vor dem Erbgesundheitsgericht ist nicht öffentlich. (2) Das Erbgesundheitsgericht hat die notwendigen Ermittlungen anzustellen; es kann Zeugen und Sachverständige vernehmen sowie das persönliche Erscheinen und die ärztliche Untersuchung des Unfruchtbarzumachenden anordnen und ihn bei unentschuldigtem Ausbleiben vorführen lassen. Auf die Vernehmung und Beeidigung der Zeugen und Sachverständigen sowie auf die Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen finden die Vorschriften der Zivilprozeßordnung sinngemäße Anwendung. Ärzte, die als Zeugen oder Sachverständige vernommen werden, sind ohne Rücksicht auf das Berufsgeheimnis zur Aussage verpflichtet. Gerichts- und Verwaltungsbehörden sowie Krankenanstalten haben dem Erbgesundheitsgericht auf Ersuchen Auskunft zu erteilen.
§ 8 Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Ergebnisses der Verhandlung und Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden. Die Beschlußfassung erfolgt auf Grund mündlicher Beratung mit Stimmenmehrheit. Der Beschluß ist schriftlich abzufassen und von den an der Beschlußfassung beteiligten Mitgliedern zu unterschreiben. Er muß die Gründe angeben, aus denen die Unfruchtbarmachung beschlossen oder abgelehnt worden ist. Der Beschluß ist dem Antragsteller, dem beamteten Arzt sowie demjenigen zuzustellen, dessen Unfruchtbarmachung beantragt worden ist, oder, falls dieser nicht antragsberechtigt ist, seinem gesetzlichen Vertreter.
§
9. Gegen den Beschluß können die im § 8 Satz 5 bezeichneten Personen
binnen einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung schriftlich oder zur
Niederschrift der Geschäftsstelle des Erbgesundheitsgerichts Beschwerde einlegen.
Die Beschwerde hat aufschiebende Wirkung. Über die Beschwerde entscheidet
das Erbgesundheitsobergericht. Gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in entsprechender Anwendung der Vorschriften
der Zivilprozeßordnung zulässig.
§ 10 (1)
Das Erbgesundheitsobergericht wird einem Oberlandesgericht angegliedert und umfaßt
dessen Bezirk. Es besteht aus einem Mitglied des Oberlandesgerichts, einem beamteten
Arzt und einem weiteren für das Deutsche Reich approbierten Arzt, der mit
der Erbgesundheitslehre besonders vertraut ist. Für jedes Mitglied ist ein
Vertreter zu bestellen. § 6 Abs. 2 gilt entsprechend. (2)
Auf das Verfahren vor dem Erbgesundheitsobergericht finden §§ 7, 8 entsprechende
Anwendung. (3)
Das Erbgesundheitsobergericht entscheidet endgültig.
Durch Gesetz vom 26. Juni 1935 wurde an dieser Stelle folgender Artikel eingefügt: "§ 10a
(1) Hat ein Erbgesundheitsgericht rechtskräftig auf Unfruchtbarmachung einer
Frau erkannt, die zur Zeit der Durchführung der Unfruchtbarmachung schwanger
ist, so kann die Schwangerschaft mit Einwilligung der Schwangeren unterbrochen
werden, es sei denn, daß die Frucht schon lebensfähig ist oder die
Unterbrechung der Schwangerschaft eine ernste Gefahr für das Leben oder die
Gesundheit der Frau mit sich bringen würde. (2) Als nicht lebensfähig ist die Frucht dann anzusehen, wenn die Unterbrechung vor Ablauf des sechsten Schwangerschaftsmonats erfolgt."
§ 11 (1) Der zur Unfruchtbarmachung notwendige chirurgische Eingriff darf nur in einer Krankenanstalt von einem für das Deutsche Reich approbierten Arzt ausgeführt werden. Dieser darf den Eingriff erst vornehmen, wenn der die Unfruchtbarmachung anordnende Beschluß endgültig geworden ist. Die oberste Landesbehörde bestimmt die Krankenanstalten und Ärzte, denen die Ausführung der Unfruchtbarmachung überlassen werden darf. Der Eingriff darf nicht durch einen Arzt vorgenommen werden, der den Antrag gestellt oder in dem Verfahren als Beisitzer mitgewirkt hat. (2)
Der ausführende Arzt hat dem beamteten Arzt einen schriftlichen Bericht über
die Ausführung der Unfruchtbarmachung unter Angabe des angewendeten Verfahrens
einzureichen. Durch Gesetz vom 26. Juni 1935 wurden im § 11 Abs. 1 Satz 1 und 3 und in Abs. 2 jeweils nach dem Wort "Unfruchtbarmachung" die Worte "und Schwangerschaftsunterbrechung" eingefügt.
Durch
Gesetz vom 4. Februar 1936 wurde der § 11 wie folgt geändert: "(1)
Die Unfruchtbarmachung hat im Wege des chirurgischen Eingriffs zu erfolgen. Die
Reichsminister des Innern und der Justiz bestimmen, unter welchen Voraussetzungen
auch andere Verfahren zur Unfruchtbarmachung angewandt werden können."
§ 12
(1) Hat das Gericht die Unfruchtbarmachung endgültig beschlossen, so ist
sie auch gegen den Willen des Unfruchtbarmachenden auszuführen, sofern nicht
dieser allein den Antrag gestellt hat. Der beamtete Arzt hat bei der Polizeibehörde
die erforderlichen Maßnahmen zu beantragen. Soweit andere Maßnahmen
nicht ausreichen, ist die Anwendung unmittelbaren Zwanges zulässig. (2)
Ergeben sich Umstände, die eine nochmalige Prüfung des Sachverhalts
erfordern, so hat das Erbgesundheitsgerichts das Verfahren wieder aufzunehmen
und die Ausführung der Unfruchtbarmachung vorläufig zu untersagen. War
der Antrag abgelehnt worden, so ist die Wiederaufnahme nur zulässig, wenn
neue Tatsachen eingetreten sind, welche die Unfruchtbarmachung rechtfertigen.
§ 13 (1)
Die Kosten des gerichtlichen Verfahrens trägt die Staatskasse. (2)
Die Kosten des ärztlichen Eingriffs trägt bei den der Krankenversicherung
angehörenden Personen die Krankenkasse, bei anderen Personen im Falle der
Hilfsbedürftigkeit der Fürsorgeverband. In allen anderen Fällen
trägt die Kosten bis zur Höhe der Mindestsätze der ärztlichen
Gebührenordnung und der durchschnittlichen Pflegesätze in den öffentlichen
Krankenanstalten die Staatskasse, darüber hinaus der Unfruchtbargemachte.
§ 14 Eine
Unfruchtbarmachung, die nicht nach den Vorschriften dieses Gesetzes erfolgt, sowie
eine Entfernung der Keimdrüsen sind nur dann zulässig, wenn ein Arzt
sie nach den Regeln der ärztlichen Kunst zur Abwendung einer ernsten Gefahr
für das Leben oder die Gesundheit desjenigen, an dem er sie vornimmt, und
mit dessen Einwilligung vollzieht.
Durch Gesetz vom 26. Juni 1935 erhielt der § 14 folgende Fassung: "§ 14 (1)
Eine Unfruchtbarmachung oder Schwangerschaftsunterbrechung, die nicht nach den
Vorschriften dieses Gesetzes erfolgte, sowie eine Entfernung der Keimdrüsen
sind nur dann zulässig, wenn ein Arzt sie nach den Regeln der ärztlichen
Kunst zur Abwendung einer ersten Gefahr für das Leben oder die Gesundheit
desjenigen, an dem er sie vornimmt, und mit dessen Einwilligung vollzieht. (2)
Eine Entfernung der Keimdrüsen darf beim Manne mit seiner Einwilligung auch
dann vorgenommen werden, wenn sie nach amts- oder gerichtsärztlichem Gutachten
erforderlich ist, um ihn von einem entarteten Geschlechtstrieb zu befreien, der
die Begehung weiterer Verfehlungen im sinne der §§ 175 bis 178, 183,
223 bis 226 des Strafgesetzbuchs befürchten läßt. Die Anordnung
der Entmannung im Strafverfahren oder im Sicherungsverfahren bleibt unberührt."
§ 15 (1) Die an dem Verfahren oder an der Ausführung des chirurgischen Eingriffs beteiligten Personen sind zur Verschwiegenheit verpflichtet.
§ 16 (1) Der Vollzug dieses Gesetzes liegt den Landesregierungen ob.
Der Reichsminister des Innern erläßt im Einvernehmen mit dem Reichsminister der Justiz die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften.
Dieses
Gesetz tritt am 1. Januar 1934 in Kraft. In
Österreich eingeführt durch Erlaß vom 14. November 1939 (RGBl.
I. S. 2230) und in den Ostgebieten mit Erlaß vom 24. Dezember 1941 (RGBl.
I. 1942 S. 15).
Berlin,
den 14. Juli 1933 Der
Reichsminister des Innern Der
Reichsminister der Justiz | ||