Bomben-Stimmung
Sonntag, den 11. Februar 1934: Die Naumburger Fliegerortsgruppe unter Führung von Dr. med. dent. Ulrich Tigerström lädt für in den Ratskeller von Naumburg ein. Die deutsche Luftfahrt braucht ihre Unterstützung. Den Abend eröffnet der Badenweiler Marsch. Flugpionier Hermann von Köhl, der am 12. April 1928 in 37 Stunden seine Junkers W 33 von Irland zur Insel Greenly (Neufundland) steuerte, weil unter den Gästen. Ein mit viel dekorativem Schmuck und lauten Eitelkeiten umsetzes Heldentum, durchsetzt von einem veräußerlichten, verzerrten und vergifteten Heroismus, wird zur Schau gestellt. (Victor Klemperer) Die Redner schwadronieren über "Stunden der Todesnähe" und "Menschen, die gelernt haben, dem Tod ins Auge zu sehen". Höhepunkt bildet ein um Mitternacht im Saal simulierter Fliegerangriff. Scheinwerfer leuchten gegen den "Himmel". Motorengeräusche anfliegender Flugzeuge sind zu hören. Bomben rieseln als Schokoladentäfelchen auf die Feiernden nieder. Akustisch vorgetäuschte Einschläge dröhnen durch den Saal. Dazu gibt es Sekt und Tanzmusik. Im Februar `34 im Ratskeller. Nicht als Simulation, sondern in der Realität erlebte Waltraud Lack 1944 einen Luftangriff auf Almrich, heute ein Ortsteil von Naumburg. Sie war damals noch ein Kind und erinnert sich 2006:
Im Großraum Naumburg liegen viele militärisch-strategische Zielen für die britischen und amerikanischen Flieger. Oftmals werfen sie ihre Last über dem Leuna-Werk ab. Sirenen jagen am 12. Mai 1944 die Naumburger in die Luftschutzbunker. Die fliegenden Festungen werfen in Leuna, Lützkendorf, Böhlen und Zeitz Bomben auf die Tanks und Hydrieranlagen, die der Herstellung von Treibstoff und Schmiermitteln dienen. Manchmal ist der Himmel durch die "Christbäume" hell erleuchtet. Oder man sieht im Norden die Lichtstelen der Flak-Scheinwerfer.
schreibt Jürgen Dorka 2006,
Bomber über Naumburg sind deshalb ab der zweiten Hälfte des Krieges nichts Besonderes. Immer wenn der Rundfunk die Verbände im Anflug - wie aus der Steiermark oder Kärnten - melden, hält es die Anwohner in der Nähe der Kasernen nicht in ihren Häusern. Aus Richtung Weinbergsweg ziehen die Menschen zum Bunker am Auenblick. Der ehemalige Bierkeller liegt zwar tief im Spechsart, gilt aber trotzdem als Mausefalle. "Die Stimmung der Bevölkerung steht unter dem Einfluß der Kriegsereignisse und der Versorgungslage", teilt der Regierungspräsident von Merseburg im Juli 1943 mit. "Bei dem Kriegsgeschehen spricht man vor allem von Terrorangriffen der feindlichen Flieger, dem Absinken der U-Boot-Erfolge und dem Vordringen der Feindmächte gegen italienischen Boden. Es ist dabei eine zunehmende Verzagtheit festzustellen, die ihre Ursachen in der Annahme haben, dass unsere Luftabwehr nicht verhindern kann, daß ganze Städte und Dörfer vernichtet werden und daß unsere Luftwaffe nicht zur Vergeltung schreitet. Diese bedrückte Stimmung findet jedoch keinen Ausdruck in der äußeren Haltung. Die Bevölkerung fügt sich weiterhin willig den kriegsbedingten Gesetzen und Verordnungen, so daß für mich kein Anlaß zu der Befürchtung besteht, daß Unruhen irgendwelcher Art entstehen." (Regierungspräsident 21. Juli 1943)
LSR Naumburg ist Garnisonsstadt, besonders das Heeresverpflegungsamt mit seinen Silos für die Verpflegung der Truppe und das Heereszeugamt am Rande der Stadt bilden militär-strategische Ziele. Viele Häuser bemalt man mit breiten weißen Streifen, die jäh mit einem Pfeil enden. Sie verweisen auf eine Tür oder ein Kellerfenster, worauf "LSR" (Luftschutzraum) steht. Der Reichsluftschutzbund hat in Zusammenarbeit mit der NSV zwei Räume im Salztorhäuschen eingerichtet (1938). Erholung, Gesellschaftshaus (2004)
Bereits am 30. November 1934 tagt der Hausbesitzerverein in der Erholung, um mit seinem Vorsitzenden Stadtrat Becker über die Gefahren bei Luftangriffen zu sprechen. Als Gast begrüßen sie den Vorsitzenden der Ortsgruppe des Reichsluftschutzbundes Bürgermeister Karl Roloff. Der Schulungsabend will zeigen, "welch mancherlei Gefahren die Häuser durch Luftangriffe wie auch durch die Zerstörung der Witterungseinflüsse unterliegen". Eine Licht-Bildreihe erklärt, wie man Sicherungsaufgaben am Haus durchführen kann. "Dem Hausbesitzer sollte hierdurch vor Augen geführt werden, wie er sein Besitztum vor solchen Gefahren möglichst schützen kann." (1934)
Major Freiherr von Massenbach vom Reichsausschuss für Sachwerterhaltung hält einen Aufklärungsvortrag, begleitet mit der Vorführung von Bildern englischer und französischer Militärflieger beim Üben von Bombenabwürfen. "Die Militärstaaten, welche uns umgeben," erläutert das Naumburger Tageblatt den Lesern, "haben zur Zeit 20 000 Kriegsflugzeuge in Bereitschaft, dem Deutschland nicht ein einziges entgegenzustellen hat." Karl Roloff und Freiherr von Massenbach lassen es an markigen Worten nicht fehlen. Erneut bekennt sich Hitler auf dem Bückeberg bei Hameln zum Frieden, heißt es an diesem Abend. Aber "ringsum rüsten unsere Nachbarn"! Deshalb muss jetzt Vorsorge getroffen werden. Hinweise hierzu erhält der Bürger von der Firma Sieling frei Haus mit dem Adressbuch geliefert. Unter der Überschrift "Feindliche Flieger bedrohen dich!" befragt man die Bürger:
Im März 1935 wird die Ortsgruppe des Reichsluftschutzes wieder aktiv. Erste Verdunkelungsübungen finden statt. "Wenn Naumburg von feindlichen Fliegern heimgesucht würde", überschreibt am 9. September 1935 das Naumburger Tageblatt. Unter der Annahme des Bombenabwurfs auf das Schützenhaus üben die Feuerwehren den Löscheinsatz. In der Stadt werden im Laufe der Jahre Luftschutzräume, wie zum Beispiel im Oberlandesgericht, Marientor, Gesellschaftshaus Erholung oder bunkerähnliche Räume im Zuckerberg und Felsenkeller, hergerichtet beziehungsweise gebaut. Trotz des propagandistischen Getöses ist die Stadt schlecht auf die Fliegerangriffe vorbereitet. Erst in Auswertung der Erfahrungen aus den Luftangriffen auf Rostock, Kiel und Hamburg verfügt Oberbürgermeister Bruno Radwitz am 28. August 1942, in allen Dienstgebäuden und Schulen Sandtüten nebst Löschwasser bereitzustellen. Aktionismus soll die Bürger über die Schwächen und zum Teil prekären Unzulänglichkeiten hinwegtäuschen. Noch Anfang 1944 reichen die Plätze im Luftschutzkeller am Bahnhof Naumburg nicht aus. Nicht alle Anwohner vom Othmarsplatz und Othmarsweg sowie Steinweg finden Platz im zugewiesenen Luftschutzkeller. Auf Vorschlag der NSDAP-Kreisleitung sollen die Bürger den Keller des Winterhilfswerkes am Lindenring 45 nutzen. Der kann 200 bis 300 Personen aufnehmen. Die damals dreizehnjährige Frau Ilse Wolf erinnert sich im Jahre 2006:
Hinter den mächtigen Mauern des Marientors (Stadtplan) suchen im März und April 1945 einige Bürger vor den Luftangriffen Zuflucht. Der Schutzraum befindet sich in den unterirdischen Gewölben. Er besaß aber keinen zweiten Fluchtweg. Nachdem unweit davon der Bäcker in der Marienstraße getroffen wird, geben es viele auf, hier Schutz zu suchen (vgl. Bjarsch 69 f.). Richard Wandelt (2010) erzählt, dass seine Grossmutter panische Angst vor Luftangriffen hatte. Bei Bombenalarm liefen sie von ihrem Wohnort in der Grochlitzer Strasse "in den sehr tiefen tonnengewölbten Keller des Cafe Furcht in der Innenstadt, um dort mit 20 bis 30 anderen Personen Schutz zu suchen. In manchen Nächten liefen wir zwei- oder dreimal." Für den Dom und die Stifterfiguren zieht man als Schutz vor Druckwellen und Bombensplittern Mauern ein. Die Glasfenster werden herausgenommen. Wegen der Bombenangriffe auf das mitteldeutsche Industriezentrum und die Grosstädte mussten Kinder aufs Land umsiedeln. Wer keine Verwandten hatte, den verschickt man in die KLV-[Kinderlandverschickung]-Lager. Etwa 50 Mädchen der 6. Klassen der Halleschen Torschule kamen am 3. Mai 1944 in den Alten Felsenkeller. (Vgl. Teuscher)
Flugzeugabsturz Max Kruse (geboren 1921) aus Bad Kösen berichtet 1993 in Eine behütete Zeit - eine Jugend im Käthe-Kruse-Haus:
Möglicherweise handelt es sich hierbei um den Absturz am 29. Juli 1944. Insgesamt stürzten nach Karl-Heinz Giesecke (2004) in der Umgebung von Bad Kösen allein drei B-17-G "Flying Fortress" ab.
Luftangriffe Zu den Luftangriffen im April 1945 auf Naumburg erschienen inzwischen viele Berichte, Mitteilungen und Aufsätze. Obwohl diese natürlich für die stadtgeschichtliche Forschung wertvoll, enthalten sie manchmal falsche Daten. So wenn es heisst: "Der 3.4.1945 brachte den Naumburger den ersten Bombenangriff." (Aumann 8) Oder, wenn Stadtarchivar Walter Wirth (1974) schreibt: "Bei dem Bombenangriff am 7. April 1945 wurde auch die Wenzelskirche schwer getroffen." An beiden Tag verzeichnet die Stadt keinen Luftangriff. Noch 1995 teilt das Naumburger Tageblatt mit: "Der 10. April brachte keine Luftangriffe", was ebenfalls nicht korrekt ist. Tatsächlich gab es im April `45 nicht nur zwei, wie es bisher oft in der Literatur dargestellt wird, sondern drei Angriffstage - den 9., 10. und 11. April. Lange Zeit nach dem Krieg erinnerte man sich nur an die Vorgänge im April `45. Völlig vergessen war der Luftangriff vom 16. August 1944. Erst die 2005 veröffentlichten Erinnerungen von Joachim Vöckler, Jahrgang 1935, rückten diesen Tag aus dem Schatten der Stadtgeschichte heraus. "Es fielen auch Bomben auf Bad Kösen," so Max Kruse, geboren 1921 in Bad Kösen, "doch sie stürzten ins Feld und richteten keinen Schaden an." (Kruse 276) Mit dem Buch
von 2007 gab Jürgen Möller aus Ansbach, gestützt auf einen besonderen Quellenfundus, eine detaillierte Darstellung der Luftangriffe auf Naumburg (Saale) im Zweiten Weltkrieg.
"Anfang April 1945", so beschreibt Zeitzeugin Ilse Wolf die Lage, "näherten sich die amerikanischen Streitkräfte von Thüringen kommend unserer Stadt. Auch Aufklärungsflugzeuge kreisten öfter über unserm Gebiet. Jeder hoffte, dass Naumburg von Zerstörungen verschont bleiben würde. Am 9. April 1945 heulten die Sirenen. Zur Sicherheit gingen wir in letzter Zeit in einen tiefer gelegenen Luftschutzkeller unseres Nachbarhauses Engelgasse 7. Kaum waren wir, meine Tante und ich sowie einige Hausbewohner, im Keller, hörten wir es oben krachen, und das Haus erschütterte. Dreck rieselte zum Kellerschacht herein. Meine Angst war riesengroß. Ich klammerte mich an meine Tante und sagte zu ihr: "Bloß nicht lebendig begraben werden!" Danach herrschte Totenstille. Eine ältere Hausbewohnerin, welche noch nie einen Luftschutzkeller aufgesucht hatte, kam sehr verstört herunter und weinte. Sie sagte: "Ich weiß nicht, ob unser Haus noch steht." Nachdem Entwarnung gegeben war, wagten wir uns aus dem Keller nach oben. Zunächst waren wir froh, dass unser Wohnhaus - Reußenplatz 17 - noch stand, aber o weh, die Fensterscheiben waren kaputt, Türen aus den Angeln gehoben und überall lagen Steine, Dachziegel und Glas umher. Am nächsten Tag konnten wir das ganze Ausmaß der Zerstörungen erfahren. Zwei Schlachtflieger, vom Buchholz herkommend, hatten ihre Bombenlast über Naumburg abgeladen. Zerstörungen gab es in der Medlerstraße, Neustraße, Neugasse, Salzstraße, Salzgasse, am Topfmarkt mit der Sparkasse, am Altersheim, in der Druckerei Sieling und der Wenzelskirche. Weitere Bomben fielen in der Marienstraße, Fischstraße, auf den Stadtfriedhof (Stadtpark) und in der Gartenstraße. Tage später wurde auch das Heereszeugamt bombardiert. Auf Wunsch meiner Pflegeeltern Elfriede und Karl Foth, Naumburg, Reußenplatz 17, habe ich alle Fliegeralarmzeiten von 1943 bis 1945 aufgeschrieben." (Ilse Wolf)
Erste Angriffswelle, zwischen 11.53 Uhr und 12.03 Uhr:
Zweite Angriffswelle, 13.08 Uhr:
Dritte Angriffswelle, 15.44 Uhr:
Die Bomben treffen Wohnhäuser in der Salz-, Neu-, Gutenberg- und Marienstraße, den Topfmarkt nebst Umgebung der Stadtkirche St. Wenzel und den 400 Jahre alten Stadtfriedhof. Im Gebiet zwischen Neu- und Gutenbergstraße sind fünfzig Gebäude total zerstört. Darunter die Loge, das Polizeigebäude (Große Neustraße 15) gegenüber der "Münze" mit drei toten Polizisten.
"Ich glaube nicht," schreibt Richard Wandelt 2010 (8) über den erlebten Bombenangriff in einem Keller der Salzstrasse, "dass ich Angst hatte, eher war ich neugierig drauf, wie es draussen aussah. Als Entwarnung war, liefen wir aus dem Keller nach oben und standen in lauter Häuserschutt. Da, wo genau gegenüber eine Gasse mit Häusern gewesen war, gab es nur noch Trümmer. Am Ende der [Salz-]Gasse war die Polizeiwache gewesen. Ich erinnere mich noch, wie wir auf einem uns riesig erscheinenden Schuttberg mehre Polizeischakos liegen sahen und uns diese unter Gelächter aufsetzten. Man muss wissen, dass wir Kinder eine panische Angst vor der Polizei hatten " Das Dach und die Westwand der Stadtkirche St. Wenzel, die Hildebrandt-Orgel und der Sparkassenbau weisen schwere Schäden auf. Wasser- und Stromversorgung werden schwer beschädigt.
Tiefflieger greifen im Stadtzentrum und -gebiet Zivilpersonen an.
10. April Am 10. April 1945 stürzen gegen 15.45 Uhr Tiefflieger auf den Bahnhof Naumburg nieder und richten erheblichen Sachschaden an. Weitere Bombenabwürfe erfolgen im Bereich des neuen Friedhofs und der Fahrbahnbelag der Weißenfelser Straße wird beschädigt. (Vgl. Möller 19)
11. April 1945
Erste Angriffswelle, 10.12 Uhr:
Zweite Angriffswelle, 10.52 Uhr:
Dritte Angriffswelle, 11.15 Uhr:
Vierte Angriffswelle, zwischen 11.41 Uhr und 11.45 Uhr:
"Bei dem Angriff", notiert Pfarrer Konrad Zippel, "schossen Jagdflieger mit ihren Bordkanonen auf flüchtende Menschen." (Onasch 1995, 4) Der Fliegerangriff am 11. April geschah ohne jede Vorwarnung. Auf dem Weg zum Bunker im Zuckerberg wurden viele Menschen überrascht. Flugzeuge schossen mit Bordwaffen auf sie. (Eberhard Kaufmann 1995) Bomben treffen den Friedhof an der Weißenfelser Straße. Die Kapelle und das Krematorium sind auf lange Zeit nicht nutzbar. Schwere Schäden werden im Sektor Kroppentalstraße, Linsenberg bis Erbsenweg, an den Blöcken 3, 4 und 5 des Heereszeugamtes gemeldet. Vierzehn Bombentrichter zählt eine Zeitzeugin westlich vom Erbsenweg. Sogar auf dem Grochlitzer Gries an der Saale kommt es zu Einschlägen und massiven Tieffliegerangriffen (siehe unten). "Das Heereszeugamt hatte nur wenige Treffer erhalten", ermittelte Eberhard Kaufmann 1995. Eine Halle wurde ganz weggebombt. Im Heeresverpflegungsamt (Schönburger Straße) werden zwei große Silos getroffen. Eines der beiden Silos brennt. "Das vermeintliche Schießen kam vermutlich von Konservendosen, von denen wohl Unmengen im Feuer zerplatzten. Dieses Geknalle ging noch bis in die tiefe Nacht". (Bjarsch 69) Auf das Altersheim in der Schönburger Landstraße fielen Bomben. Ebenso Grundstücke in der Fisch-, Burg-, Kanonierstraße sowie an der Ecke Hindenburg-/Sedanstraße (August-Bebel-Straße).
Der Vorstoß des V. Corps zur Saale und Unstrut und die Besetzung von Naumburg im April 1945 von Jürgen Möller (2007) konnte nicht alle weissen Flecken tilgen. Das betrifft die Areale:
16. August 1944 Mit der Mission 556 der Eighth Air Force fliegen am 16. August 1944 1090 Bomber und 692 Jäger an. Ihr Zielgebiet liegt im Raum Delitzsch, Schkeuditz, Halle und Leuna. Naumburg erreichen fünfzehn Boeing 17 Maschinen. Im Kroppental hagelt es Bomben. Das Heereszeugamt wird getroffen und brennt. In den weitläufigen Kellergewölben des Felsenkellers nehmen Bürger aus diesem Stadtgebiet Zuflucht. In der Burgstraße zerstören die Bomben Wohnhäuser. Einige Bürger kommen ums Leben. Im Naumburger Tageblatt wird darüber nicht berichtet.
Tieffliegerangriffe innerhalb des Stadtgebietes Jürgen Möller (2007, 16 und 19) berichtet ausführlich vom Tieffliegerangriff auf einen Personenzug auf der Eisenbahnstrecke Halle-Bebra am 8. April 1945. Für das Stadtgebiet Naumburg registriert er einen am 10. April 1945. Bisher unbeachtet blieb, dass die meisten Zivilisten wahrscheinlich am Vormittag des 11. April durch Angriffe von Tieffliegern im Areal Grochlitzer Gries, Gerberbach, Am Gerberstein und Erbsenweg (siehe Karte) ums Leben kamen. (Davon ausgenommen sind allerdings die Opfer vom Gelände des Heereszeugamtes.)
Auf dem Weg zum Bunker im Zuckerberg wurden viele Menschen überrascht. Die Flugzeuge schossen mit Bordwaffen dazwischen, schreibt Eberhard Kaufmann in "Verschüttet unter den Trümmern des Hauses" (1995). Von Wolfgang Krehahn (Naumburg) kann man mehr über den Fliegerangriff vom 11. April erfahren. Mit ihm trafen sich der Diplom-Journalist Hans-Dieter Speck (Mitteldeutsche Zeitung, Naumburger Tageblatt) und der Autor am 28. Juli 2011 in Grochlitz (Naumburg). Das Gespräch währte über drei Stunden.
Der Luftangriff vom 11. April 1945 und seine Folgen quälen und beschäftigen Wolfgang Krehahn noch heute. Er verlor dabei seine zwei Geschwister Evi und Eberhard. Davon erzählt der Stadthistoriker Eberhard Kaufmann (Naumburg) in Verschüttet unter den Trümmern des Hauses (1995).
Dann stehen wir zusammen auf dem Weg oberhalb des Gerberbaches. Hier erlebte Wolfgang Krehahn den Tieffliegerangriff am Vormittag des 11. April. Er erzählt:
Anzahl der Todesopfer Heinz Aumann (1960) beziffert die Opfer der Luftangriffe von April 1945 in Naumburg auf 192 Tote. 400 bis 629 Personen wurden obdachlos (vgl. Onasch 1995). Eine Dokumentation vom Stadtmuseum Naumburg kommt 2005 zu dem Ergebnis:
Damit wären es insgesamt etwa 400 Opfer. Hans-Dieter Speck schätzt 2006:
Ilse Janda stellt in ihrem Kriegstagebuch 1945/1946 fest:
Eberhard Kaufmann berichtet 1995 über den Fliegerangriff auf das Heereszeugamt in Verschüttet unter den Trümmern des Hauses:
Würde man diese Opfer mit einrechnen, erreichte die Zahl eine Größenordnung, die nicht mit den im Stadtarchiv Naumburg dokumentierten und bisher veröffentlichten Angaben in Einklang zu bringen ist. Die Listen über die Opfer sind wahrscheinlich unvollständig. Es sind nur die erfasst, die auf dem Friedhof an der Weissenfelser Strasse beigesetzt wurden.
In den Tagen nach den Luftangriffen musste die Stadtverwaltung für die Sicherung der vitalen Lebensgrundlagen (Wasser, Energie, Lebensmittel) pyramidale Aufgaben bewältigen. Dem war alles andere nachgeordnet. Ob unter diesen Umständen eine ordentliche Registrierung der Toten erfolgte, darf bezweifelt werden. Auch aus politischer Sicht darf man zumindest Fragen, ob die Stadtverwaltung ein Interesse daran hat, realistische Zahlen zu veröffentlichen. Es gibt mündliche Aussagen von Zeitzeugen, dass eine grosse Zahl der Opfer des Fliegerangriffs vom 11. April an einem anderen Ort der Stadt beigesetzt wurden. Das könnte die Differenz zwischen den bisher veröffentlichten Opferzahlen und den Angaben aus den Erlebnisberichten (Ilse Jander, Eberhard Kaufmann, Wolfgang Krehahn) erklären.
Zum militärischen Wert der Luftangriffe Ein Ziel der Luftangriffe auf Naumburg (Saale) war das Heereszeugamt (HZA) und das Heeresverpflegungsamt (HVA). Sie werden am 9. April und am 11. April bombardiert. Aber
Die vielen anderen militärischen Objekte in und am Rande der Stadt wurden nicht angegriffen. Gemessen an der Einwohnerzahl, sind eine hohe Zahl ziviler Opfer der Luftangriffe zu verzeichnen. "Der Grossteil der Bomben verfehlt das Ziel und landet in den Feldern nördlich, südlich und südwestlich des Ziels. Aber auch bebautes Gebiet wird getroffen." (Möller 22) Aber welche Erklärung gibt der Autor von Der Vorstoss des V. US-Corps dafür? Er macht die Wetterlage dafür verantwortlich; zum Angriff am 9. April heisst es:
Dann noch einmal:
Der Zeitzeuge, Pfarrer in Ruhe Konrad Zippel (1886-1950), Hindenburgstraße 34 a (heute Stauffenbergstraße), erinnert sich am 13. April 1945 daran ganz anders:
Zeitzeuge Wolfgang Krehahn, Naumburg, Jahrgang 1936, sagte im Interview am 28. Juli 2011 in Grochlitz (Naumburg) aus, dass am 11. April 1945 "klares Wetter" herrschte (Belau 2011). Jürgen Möller (23) resümiert zu den Luftangriffen auf Naumburg (Saale):
Das ist eine weitreichende und konsequente Schlussfolgerung vom Autor der in Naumburg viel beachteten Studie: Der Vorstoß des V. US Corps zur Saale und Unstrut und die Besetzung von Naumburg im April 1945. Und trotzdem erschöpft sich darin die historische Bewertung der Luftangriffe auf Naumburg (Saale) vom 9. bis 11. April 1945 nicht. Gewiss war die Stadt, was ausführlich dargestellt wurde, hoch militarisiert. Aber eigentümlicher Weise sind ausser dem Heeresverpflegungs- und Heereszeugamt keine weiteren militärischen Objekte angegriffen worden. Jürgen Möller (22) weist darauf hin, dass am 11. April die meisten Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen sind. Mehr noch, die bombardierte militärische Fläche ist deutlich kleiner als die getroffenen zivilen Areale der Stadt. Zu letzteren rechnen wir nicht nur die Kernstadt, sondern ebenso die Randgebiete, wie Grochlitzer Gries, Zuckerberg, Gerber- und Erbsenweg, Linsenberg, Weichau, Weichaugrund, den Neuen Friedhof (Weißenfelser Straße) und weitere einzelne Straßen nahe des Stadtkerns. Es sind immerhin 700 Gebäude beschädigt und 512 Wohnungen zerstört worden (vgl. Möller 23 und OB 5.10.1946). Die hohe Zahl ziviler Opfer, die umfangreichen Zerstörungen in den Wohngebieten und nicht-militärischen Arealen der Stadt deuten darauf hin, dass die Luftangriffe vom April 1945 nicht allein militärischen Zielen dienten. Ihr Zweck leitet sich aus einer umfassenden Kriegsführungsstrategie gegen Hitler-Deutschland her. Insgesamt waren die Luftangriffe auf Naumburg (Saale) im April 1945 von geringem militärischen Nutzen. Der Naumburger Dom blieb bei den Luftangriffen auf die Stadt unversehrt. Viele rätselten über die Ursache. Da bot sich die Geschichte von Hans Helm an, die man in der Stadt Jahrzehnte nach dem Krieg erzählte. Es hiess, er stammte aus Janisroda (bei Naumburg). Lange vor dem Zweiten Weltkrieg soll der ehemalige Domschüler ausgewandert sein. Als Oberst im US-Luftwaffenstab verhindert er dann im Krieg die Bombardierung des Naumburger Doms. Noch 1995 konnte man darüber im Naumburger Tageblatt lesen:
Die anrührende Geschichte vom Retter des Naumburger Doms Hans Held strickte Daniel T. Schledtmut. Er verkaufte sie in der Tageszeitung Die Welt (Hamburg) am 21. Juni 1961 dem Leser mit folgenden Sätzen:
Jürgen Möller (2007, 25) wies nach, " . dass die, am 21. Juni 1961 in der Zeitung von Daniel T. Schledtmut veröffentlichte Geschichte über den sogenannten Retter von Naumburg jeglicher Grundlage entbehrt".
Aumann, Heinz (Naumburg, Neidschützer Straße 1): Der Kampf der Arbeiterklasse um die Schaffung antifaschistisch-demokratischer Verhältnisse und die Entwicklung und Festigung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse im Kreisgebiet Weißenfels und der Stadt Naumburg. (Zeitraum 12.4.1945 bis 31.12.1945) Franz-Mehring-Institut, Karl-Marx-Universität Leipzig, 1960 Belau, Detlef: Interview mit Wolfgang Krehahn (Naumburg, Jahrgang 1936) am 28. Juli 2011 in Grochlitz (Naumburg). Siehe dazu auch Bericht von Hans-Dieter Speck: Im Tunnel des Zuckerbergs. In: Naumburger Tageblatt, Mitteldeutsche Zeitung, Mittwoch, den 3. August 2011 Bjarsch, Hubert: Ein Überlebender, unverschämt. Eine Heiße Geschichte. Frieling-Verlag, Berlin 2006 [Bombenangriff] 11. April: Zweiter Bombenangriff. In: "Naumburger Tageblatt", 11. April 1995 Dorka, Jürgen: Kino und Tomatenschlachten. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, www.museumnaumburg.de, Januar 2006 Giesecke, Karl-Heinz. Am Himmel Dröhnen von 200 Motoren. Vor sechzig Jahren: Am 29.7.1944 stürzten nach Angriffen in der Umgebung von Bad Kösen drei US-amerikanische Bomber ab. In: Burgenlandjournal, Sonnabend, den 26. Juni 2004, V 6 Janda, Ilse: Kriegstagebuch 1945/1946. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, 4. Februar 2012 [Held, Hans] Das Ende des Krieges in Naumburg. 11. April: Zweiter Bombenangriff. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 11. April 1995 Kaufmann, Eberhard: Verschüttet unter den Trümmern des Hauses. "Mitteldeutsche Zeitung, Naumburger Zeitung", Naumburg, den 14. April 1995 Klemperer, Victor: Heroismus. In: LTI. Notizbuch eines Philologen. Verlag Philipp Reclam jun. Leipzig, 1978, Seite 11, 13 Kruse, Max: Eine behütete Zeit - eine Jugend im Käthe-Kruse-Haus. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1993 Lack, Waltraud: Kindheit im Krieg. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, www.museumnaumburg.de, Januar 2006 Luftangriffe. Ausstellung "Krieg und Frieden. Naumburg 1940 -1950" im Stadtmuseum Hohe Lilie. Naumburg 25. Juni - 4. Dezember 2005. Siehe auch "Totenlisten 1942/45" auf der Website der Museen Naumburg (Saale), http://www.mv-naumburg.de/index.php/einzeldokumente/598-totenlisten1945?tmpl=component&print=1&page= Möller, Jürgen: Der Vorstoß des V. US Corps zur Saale und Unstrut und die Besetzung von Naumburg im April 1945. Ein militärgeschichtlicher Abriss, Druckhaus Zeitz 2007 [OB] Mitteilung des Oberbürgermeisters der Stadt Naumburg (Saale) an den Bezirkspräsidenten Merseburg am 5. Oktober 1946. Stadtverwaltung Naumburg. Bauamt. Wiederaufbau bombardierter Gebiete. 1946, Archivsignatur: 1629 [Onasch, Martin] " wir atmen alle auf " Ein Brieftagebuch über das Kriegsende 1945 in Naumburg / Saale, Jüdengasse Verlag, Naumburg (Saale) 1995 Regierungspräsident von Merseburg an den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen in Magdeburg Ulrich. Betrifft: Regelmäßiger Bericht über wichtige Vorkommnisse und Erfahrungen. Merseburg, den 21. Juli 1943, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Merseburg, Polizeiregistratur 1939-1943, Rep. C 48 h e Schledtmut, Daniel T.: Naumburg ist eine sterbende Stadt. "Die Welt", Hamburg, den 21. Juni 1961 Speck, Hans Dieter: Naumburg. Als die Schornsteine rauchten. Fotodokumente zwischen 1945 und 1989. Leipziger Verlagsgesellschaft, 2006 Speck, Hans-Dieter: Im Tunnel des Zuckerbergs. "Naumburger Tageblatt, Mitteldeutsche Zeitung", Mittwoch, den 3. August 2011 Standesamt Naumburg, Sterbebucheintragungen. Frau Susanne Kröner, Leiterin des Stadtarchivs von Naumburg (Saale), Mai 2010 Teuscher, Erika, Querfurt
(1944): Kinderlandverschickung. Website: Museum naumburg, Musen in Naumburg
(Saale) und Bad Kösen, http://www.mv-naumburg.de/museen/klingerhaus/173-teuscher-erika Vöckler, Joachim (geboren 1935): Seitdem hatte ich bei Fliegeralarm Angst. "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 7. April 2005. Siehe hierzu ebenfalls seinen Beitrag auf der Internetseite des Stadtmuseums Naumburg. [Wandelt, Richard] Brief von Richard Wandelt aus Bad Wurzach an Detlef Belau in Naumburg (Saale) vom 27. Juli 2010. Wandelt, Richard: Einige Erinnerungen aus meinem Leben. (Übermittelt im Brief von Richard Wandelt aus Bad Wurzach an Detlef Belau in Naumburg (Saale) vom 27. Juli 2010) Wirth, Walter, Stadtarchivar: Bombenangriff auf Naumburg. "Naumburger Kreiszeitung", 17. April 1974, Seite 6 Wolf, Ilse (Naumburg, 1943-1945): Fliegeralarm. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, www.museumnaumburg.de, Januar 2006 |
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Autor: Detlef Belau | Geschrieben
April 2005. Aktualisiert: 6. September 2011 |