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Naumburger Tageblatt
vor 1945
am Topfmarkt
(2007)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Feuilleton kniet vor der NSDAP

"Der Durchschnittsmensch hat eben die Meinung der Zeitung, die er täglich liest", tut uns der Verleger mit Weltkenntnis und ehemalige Domschüler Eugen Diederichs (1867-1930) kund. Als Meinungsbildner für die Nationalsozialisten bietet sich das Naumburger Tageblatt an. Denn schon lange vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten gilt es laut örtlicher Polizeiverwaltung als "rechtspolitisch eingestellt".

Die Regionalzeitung mit deutschnationaler Ausrichtung wendet sich bevorzugt und ausführlich dem Parteileben der DNVP und NSDAP sowie den Aktivitäten des Stahlhelms zu. Dabei grenzt sie das konservativ politische Denken gegenüber dem Nationalsozialismus nicht klar und deutlich ab. Auf diese Weise (ver-) führt sie viele politisch konservativ - hier im besten Sinne des Wortes verstanden - denkende Bürger in das Kraftfeld der NSDAP und hat so einen wesentlichen Anteil an ihrem Aufstieg als Volkspartei in der Naumburger Region. Als der Nationalsozialismus seine kommunale Diktatur errichtet, macht sich allmählich eine tiefe Enttäuschung breit. Nicht wenige möchten verzweifeln. Wir denken an Richard Hertel.

Betriebsführer des Naumburger Tageblatts mit Gefolgschaft. Im Hintergrund das Banner mit der Aufschrift: "Wir stehen zu Deutschland und dem Führer!"

Das Naumburger Tageblatt zeichnet, wenn zumeist auch dezent und vornehm, über die NSDAP ein positives Bild, wie die Berichterstattung zu den Schützenhaus-Prozessen [Ereignis] und ihre Hakenkreuzurteile beweist. Die Links-Kräfte setzt sie herab und bringt ihr Geringschätzung entgegen. Ihre mediale Darstellung liegt kurz über der Wahrnehmungsschwelle. Alternative Bewegungen, wie die FAUD oder Die Naturfreunde, unterliegen einer extremen informationellen Diskriminierung. Reichsbanner und RFB ignoriert die Zeitung weitestgehend. Nachrichten von den Naumburger Kommunisten (KPD) - ausserhalb der regelmässigen Berichte über die Stadtverordnetenversammlungen - sind eine Rarität. Im triumphalen Ton berichtet es 1935 über die Naumburger Kommunisten-Prozesse.

Nach 1933 stellt die Stadt- und Regionalzeitung mit dem Selbstverständnis

"Wir stehen zu Deutschland
und dem Führer!"

ganz in den Dienst der nationalen Erhebung (Hitler). Zu Deutschland schon, wohl aber nicht zum Führer - steht der sozialdemokratische Volksbote aus Zeitz. Deshalb wird er im März 1933 verboten. Ebenso die Naumburger KPD-Handzeitung Rote Wacht.

Naumburger Tageblatt am Topfmarkt
(Prospekt von 1940)

Redaktion und Produktion des Naumburger Tageblatts befinden sich am Topfmarkt. Dem Unternehmen stehen zwei Rotationsmaschinen, fünf Schnellpressen, drei Tiegel und sechs Setzmaschinen zur Verfügung. Sie bewegen 67 Beschäftigte (1934), davon sind 14 kaufmännische Angestellte und 43 Arbeiter. Inhaber des Verlags Naumburger Tageblatt sind Paul und Heinrich Sieling. Mit dem Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933 erhält es den präzisierten Propagandaauftrag. (Vgl. Presseerklärung in der Ausgabe vom 3. April 1934) Allein verantwortlich für das, was ab jetzt in der Zeitung passiert, ist der Schriftleiter. Er untersteht praktisch dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, dass allein berechtigt ist ihn Anordnungen zu erteilen. Niemand, weder Verbände, noch Vereine, Organisationen oder Personen, haben hiernach das Recht, der Zeitung Vorschriften zu machen oder die Aufnahme einer Nachricht oder eines Artikels zu verlangen.

Und so gestalten sich dann auch die Nachrichten. "Mit dem Tod muss jeden Augenblick gerechnet werden." "Stalin liegt im Sterben", meldet das Naumburger Tageblatt am 8. September 1936 in grossen Lettern auf der ersten Seite. Nicht die Legion Condor zerstört am 4. Mai 1937 das kleine spanische Städtchen Guernica, sondern die Bolschewisten.

Bereits am 21. März 1933 erscheint im Naumburger Tageblatt ein Artikel über das "politische Gefängnis" KZ Hohnstein. Der Leser erfährt, dass dort die ersten 130 Gefangenen eingetroffen sind. Im Konzentrationslager Oranienburg befinden sich "SPD-Bonzen", teilt die Zeitung am 10. März 1933 mit. Es besteht kein Grund zur Klage, meldet in tendenziöser Art und Weise ein Reporter im Naumburger Tageblatt vom 9. Dezember 1933 aus dem Konzentrationslager Lichtenburg. Gegen Ende der nationalsozialistischen Herrschaft steigert sich das Blatt als Naumburger Kurier noch mal. Auch zivilisierte Bürger können zumindest zeitweise ohne Öfen leben, lautet die Quintessenz eines Artikels vom 18. Februar 1945.

Bei einer Tagung der Zeitungsverleger des Bezirkes Süd-Saale mit NSDAP-Kreisleiter Friedrich Uebelhoer am 17. März 1939 im Naumburger Hotel "Schwarzes Roß" (Große Wenzelsstraße 21, Inhaber August Dinter) bringt Bezirksleiter Paul Sieling (14.8.1903-23.6.1942), Absolvent der Domschule (Jahrgang 1922), in einer Begrüßungsrede seine Begeisterung über das "gewaltige Geschehen" in Österreich zum Ausdruck.

Seit 1925 engagiert sich der Verlag unter Führung von Heinrich Sieling (13.8.1870-14.2.1944) erfolgreich im Sektor der Heimatliteratur und bei der Herausgabe regionaler Schriften. So kann sich das Unternehmen durch Ankäufe der Nachbarhäuser am Topfmarkt und der Kleinen Neugasse (heute Gutenbergstraße) erweitern (vgl. Kaufmann 1996). Der Unternehmer lässt sich auf die Naziideologie mehr ein, als er wirklich muss, wie folgende Worte bezeugen:

"Der Führer ... hat den ihm von England und der jüdisch-demokratischen Clique aufgezwungenen Kampf gegen das bis zum Größenwahn aufgehetzte Polen in wenigen Wochen zu Ende geführt." (Heinrich Sieling)

Gegen Kriegsende kommt es zur Neugliederung des Zeitungswesen (vgl. Hadis). Das Tageblatt erscheint jetzt als Naumburger Kurier. Es ist nun eine offizielle amtliche Zeitung der NSDAP und zugleich Amtsblatt der Kreis-, Stadt- und Gemeindebehörden. Sie berichtet am 4. Januar 1945 beispielsweise über "Die jüngsten Naumburger Volkssturmänner in der Ausbildung". Und am 3. April 1945 dann die Headline: "Unerbitterlicher Kampf bis zum letzten Atemzug". "Jetzt ist", erfährt Leser, "die höchste Stunde der Bewährung gekommen."

Nach dem Abmarsch der US-Truppen entstanden die örtlichen Antifa-Komitees. Das Naumburger Tageblatt wurde im August 1945 kurzzeitig in Die Antifaschistische Front umbenannt. (Matysiak 2004)

 


Diederichs, Eugen: Aus meinem Leben. Eugen Diederichs Verlag Jena, 1938, Seite 73

Die Polizeiverwaltung, Naumburg. Mitteilung an den Regierungspräsidenten vom 17. Mai 1930, Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Rep. C, I h, Nr. 899

Firmeninformationen zu Beschäftigten und technische Ausrüstung. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Rep. C 110, Industrie- und Handelskammer Halle (Saale), Nummer 965

Hadis, Hans: Die erste Zeitung war ein Kurzläufer. Burgenland-Journal, Heimatbeilage, Sonnabend, den 7. April 2011, Seite 19

Kaufmann, Eberhard: Königlicher Landrat hält Naumburger Verlegerfamilie den Rücken frei. In: Burgenland-Journal, Heimatbeilage zum "Naumburger Tageblatt", Naumburg, den 14. August 1996

Matysiak, Stefan: Die Entwicklung der ostdeutschen Tagespresse nach 1945. Bruch oder Übergang? Dissertation zur Erlangung des sozialwissenschaftlichen Doktorgrades der Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen. Göttingen 2004

Sieling, Heinrich: Geleitwort zur Jubiläumsausgabe. In: Anschriftenbuch der Stadt Naumburg (Saale) 78. Ausgabe, 1939/40


Autor:
Detlef Belau


Geschrieben: April 2005. Aktualisiert: 19. Juni 2008
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